Dienstagmorgen, 10.00 Uhr. Gespannt sitzen Frau Jakob, die Organisatorin unseres Projektes, ich (w, 24 und im 3. Ausbildungsjahr) und 11 andere Schüler/-innen der Alice-Salomon-Schule an einer langen Tafel in einem der Räume unserer Schule. Manche kennen sich schon, anderer müssen sich erst kennenlernen. Aber mit Ankunft der polnischen Austauschschüler hat man schnell ein gemeinsames Gesprächsthema gefunden. Uns alle hat die Kontaktaufnahme mit polnischen jungen Menschen und der damit einhergehende kulturelle Austausch interessiert, insbesondere natürlich auch mit Rückblick auf die gemeinsame Geschichte von Deutschland und Polen. Zwei Dolmetscher – einer von jeder Gruppe – würden uns in der kommenden Woche noch zusätzlich unterstützen.
Plötzlich ein Klopfen an der Tür – der Raum verstummt und etwas zurückhaltend, aber auch munter kommen die zwölf Schüler/-innen unserer polnischen Partnerschule, der Prywatne Centrum Kształcenia Zawodowego (PCKZ) gemeinsam mit ihren zwei begleitenden Lehrkräften herein. Offiziell ein privates Zentrum für Berufsbildung, beinhaltet diese eben auch eine veterinärtechnische Fachschule.
Nach einer Vorstellung der Teilnehmer/-innen mit einem Kennenlernen-Bingo zur einfacheren Kontaktaufnahme hatten wir eine kurze Pause, bevor wir einen Rundgang durch unsere Schule gemacht haben und die polnischen Schüler/-innen unseren Unterricht besuchen durften.
Anschließend gab es eine Pause mit einem gemeinsamen Essen in der der Aula. Noch waren die Gruppen sehr zurückhaltend miteinander, aber das ließ sich einfach ändern. Ich kam mit einer Gruppe von 6-7 polnischen Schüler/-innen ins Gespräch, als sie sich gerade bei uns im Eingangsbereich die Statue der Namensgeberin unserer Schule, Alice Salomon, angeschaut haben. Mit lebenslangen Englischkenntnissen bewaffnet kamen wir also ins Gespräch. Hauptsächlich interessierten mich erst einmal die Unterschiede in unserem Schulalltag. Isabell, ein sehr nettes polnischen Mädchen, erzählte mir, sie sei überrascht, wie groß unsere Schule sei. Ihre sei eher klein. Den Unterricht hatte sie klasse gefunden, die Arbeit mit den Schüler/-innen hier hatte ihr Spaß gemacht und sie war gespannt auf die kommende Woche. Im Gespräch kam dann auch etwas mehr die Differenz zwischen unseren Berufsfeldern und Schulsystemen hervor.
Mir war es schon vorher aufgefallen, aber die polnischen Schüler/-innen wirkten alle noch eher jung. Das ergibt Sinn, denn in dem Gespräch wurde mir bewusst, dass, während wir hier in Deutschland schon mit einem fertigen Schulabschluss die Ausbildung beginnen und dementsprechend meistens eher so um die 16-19 Jahre alt sind, das in Polen etwas anders ist. Nach dem Abschluss der Grundschule nach 6 Jahren besuchen die jungen Polen das Gymnasium. Nach drei Jahren müssen die Schüler/-innen dann eine Abschlussprüfung ablegen und sich für einen weiteren Bildungsweg entscheiden. Insofern ist das polnische Gymnasium mit dem deutschen nicht gleichzusetzen. In Polen dient die zweite Stufe des Schulsystems primär zu einer weiteren Orientierung der Schüler/-innen. Das Gymnasium ist also vergleichbar mit der deutschen Sekundarstufe 1. Das zeigte sich, denn unsere Gäste waren gerade einmal 15 bis 17 Jahre alt und standen noch ziemlich am Beginn ihrer Kariere.
Aber auch sonst gab sehr viele Unterschiede. Während wir in der Regel nur einen bis zwei Schultage haben und die restliche Zeit praktische Erfahrung in den Praxen sammeln, haben die Polen eine Fünf-Tage-Schulwoche und sammeln praktische Erfahrung eher durch vereinzelte Praktika an verschiedenen Standorten. Die Klassengrößen sind deutlich kleiner, gerade einmal durchschnittlich 15 Schüler/-innen teilen sich einen Raum – ein starker Kontrast, wo doch schon meine eigene Klasse die Raumkapazität mit 32 Schüler/-innen fast sprengt.
Aber auch die Tätigkeiten unterscheiden sich. Während die meisten von uns in den Praxen, trotz der Tatsache, dass wir weisungsgebunden sind, sehr schnell anfangen auch eigenständig zu arbeiten und Aufgaben zu übernehmen, erleben unsere Gäste hauptsächlich mehr angeleitetes Arbeiten. Sie lernen ein breiteres Berufsfeld kennen, häufig als Vorbereitung auf eine spätere Spezialisierung, beispielsweise im Bereich Kleintier, Großtier oder Exoten. Dadurch behandeln sie beispielsweise auch Themen, die während unserer Ausbildung nicht vorkommen, wie Besamungstechnik - eine Tätigkeit, die bei uns ja eher ein eigenes Berufsfeld darstellt. Und auch das spätere Gehalt ist davon abhängig, ob man sich weiter spezialisiert oder nicht. Auf jeden Fall fand ich es faszinierend, einmal direkt mit Schüler/-innen reden zu können, die eben ein anderes Schulsystem erfahren.
Nach dem sehr interessanten Gespräch und einem stärkenden Essen ging es danach aber auch schon mit unserem Programm weiter. Wir besuchten das Sealife direkt nebenan, das viele staunen ließ. Für manche mag das Sealife wegen der grundsätzlichen Frage nach artgerechter Tierhaltung kontrovers zu sehen sein, doch ich habe es trotzdem in vollen Zügen genossen. Die fantastische Flora und Fauna hat für Gesprächsthemen gesorgt, denn wie soll man still bleiben, wenn im Ozeantunnel eine majestätische, grüne Meeresschildkröte über einem durchs Wasser gleitet. Der Tag wurde danach durch eine interessante Stadtführung durch Hannover abgerundet.
Der erste Tag war also schon gut gefüllt, hat aber auch viel Spaß gemacht und bildete den Auftakt für eine Woche, voll mit fachlichen, aber auch teambildenden Programmpunkten, die uns näher zusammengebracht haben. Am Mittwoch ging es dann in die Tierärztliche Hochschule, wo zwei Vorträge (Ophthalmologie, Chirurgie) und ein Rundgang in der Kleintier- und Pferdeklinik der TiHo geplant waren. Dr. Claudia Busse erklärte uns die Eigenschaften und den Aufbau des Auges, verbunden mit einem witzigen Quiz über die verschiedenen Augenarten der Tiere und Dr. Georga T. Karbe brachte uns das Thema Bissverletzungen mit dem Schicksal und dem glücklichen Ende von Hund Tiffany näher. Auch die Führung ließ keinen Wunsch offen, ist es doch schon eine einzigartige Gelegenheit, einmal hinter die Kulissen blicken zu dürfen. Am Abend ging es dann für uns zu einer Escape Room Challenge. In kleineren Gruppen durften wir gegen die anderen Teams auf die Suche nach dem Inkaschatz gehen – ein Vorhaben, das gute Kommunikation und schnelles Denken im Team vorausgesetzt und einen guten Abschluss des Tages gebildet hat.
Am Donnerstag ging es schon früh mit einem Besuch im traditionsreichen Landgestüt Celle los, einer von nur 700 Zuchthöfen für Besamung deutschlandweit. Wir durften die Ställe erkunden, altertümliche Kutschen bewundern und haben mehr über Pferdezucht gelernt, als ich erwartet habe. Am Ende fühlte ich mich schon selber bereit, direkt anzufangen. Doch das musste warten, denn ein Besuch im Bieneninstitut Celle stand auch noch an. Nach einem Rundgang über das wunderschöne, weitläufige Gelände voll mit Bienenstöcken, erwartete uns das Team des Bieneninstituts in den hauseigenen Laboratorien. Ich lernte, wie unserer Qualitätshonig anhand diverser Eigenschaften kategorisiert und ausgezeichnet wird und dass die Aufgaben des Bieneninstituts viel vielseitiger sind, als ich dachte. Beispielsweise kümmert sich das Institut auch um die Untersuchung diverser Bienenvölker auf die Amerikanische Faulbrut, eine verheerende Krankheit die schnellstmöglich entdeckt werden muss, um unsere Bienen zu retten. Eine Krankheit, die wie ich lernte, auch in Polen eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Ein gemütliches, gemeinsames Erkunden der niedlichen Celler Innenstadt mit den alten Fachwerkhäusern rundete den Tag dann erfolgreich ab.
Freitagmorgen begann dann einer der Höhepunkte des Programms: Der Besuch im Zoo Hannover. Mit einer Bootstour über den Sambesi als Auftakt gab es anschließend zwei Führungen zum Thema Artenschutz im Zoo und durch die Tierarztpraxis im Zoo. Beide waren fantastisch! Wusstet ihr, dass in der Regel keine ausgewachsenen Tiere mehr aus der Wildnis genommen werden, sondern dass man bei Straußen beispielsweise stattdessen ein paar der Eier entnimmt? Hier hat ein Männchen nämlich mehrere Weibchen, die alle Eier in dasselbe Nest legen. Aber nur die Eier des Lieblingsstraußenweibchens kommen in die Mitte und werden anständig bebrütet. Der Rest ist eher ein Kollateralschaden und dient beispielsweise Räubern als Nahrung. Da wird also kein Ei vermisst, wenn man mal ein oder zwei zugunsten des Artenschutzes einfliegen lässt. Aber auch der Vortrag über die Tierarztpraxis im Zoo war sehr interessant, ein seltener Einblick hinter die Kulissen, der damit endete, dass wir selbst einmal mit einem Blasrohr unsere Treffsicherheit testen durften – etwas das zu viel Belustigung und Anfeuerungen führte. Danach gab es noch etwas Freizeit, bevor es dann auch schon zu unserem letzten gemeinsamen Essen ging. Der Zeitpunkt der Abfahrt rückte näher. Nicht, dass das die gute Stimmung beim Essen im Zoorestaurant getrübt hätte! Die anschließende Nachbesprechung ließ uns die Woche reflektieren. Was hat uns gefallen? Wo sehen wir vielleicht Verbesserungsmöglichkeiten? Ein letzter Austausch bevor sich unsere Austauschschüler/-innen wieder auf den Weg machen mussten - es war immerhin eine lange Heimreise.
Doch es war ein herzlicher Abschied mit dem Versprechen, sich nächstes Jahr wiederzusehen. Denn immerhin ist es ein Austausch und nachdem wir dieses Jahr die Gastgebenden waren, schauen wir schon erwartungsvoll auf das nächste Jahr, wenn wir die Gäste sein werden!
Was man aus dieser Woche mitgenommen hat, ist bestimmt individuell, aber sicher ist, die Motivation war hoch und es war eine Gelegenheit, auch selbst als Person zu wachsen. Hiermit möchte ich mit dann auch noch einmal bei Frau Jakob bedanken, die nicht nur eine hervorragende Lehrkraft ist, sondern auch viele Stunden Schlaf und Nerven geopfert hatte, diese fantastische Woche zu organisieren.
Ein großes Dankeschön gebührt dem Deutsch-Polnische Jugendwerk, das diesen Austausch finanziell gefördert hat. Ohne diese Förderung hätten sich weder die deutschen noch die polnischen Auszubildenden die gemeinsamen Attraktionen der Woche leisten können.
Und natürlich gilt unser Dank auch der Schulleitung, die ein Interesse daran hat, dass in der Alice-Salomon-Schule als Europa-Schule solche Jugendbegegnungen stattfinden.
Kari Tordis Jankowski (TFA 21B)